Rund 3 Jahre ist es her als die Nam Kok feierlich im Juni in der Bootshalle unseres Krefelder Segler Vereines ihre längst überfällige Taufe erhielt. Noch heute sprechen alle von einem beispiellosen Spektakel mit einer grandiosen Lasershow, die Karl inszeniert hatte. Nach dem notwendigen Kielumbau seinerzeit und der Einweihungsparty schrieb ich noch von einigen Restarbeiten, die noch zu erledigen seien und dass wir nun bald wieder als Segler aktiv werden. Es war klar, dass wir in jenem Jahr keine große Reise plane können, jedoch wie jeden meiner Berichte aus dem Logbuch schloss ich auch diesen mit den Worten: „Havanna muss noch warten.“
Der Plan war schon lange geschmiedet. Seitdem ist wahnsinnig viel passiert, wie unser Bundestrainer sagen würde.
Nachdem unsere liebste Tochter (meine Stieftochter) bereits im Frühjahr aus dem Nest gefallen war und ihre Selbständigkeit antrat, räumten auch wir dann zum November die geschätzte Wohnung in der Düsseldorfer Altstadt. Mit der Tür beschlossen wir gleichzeitig einen wunderbaren Lebensabschnitt. Die Citadellstraße, für uns mehr als nur eine Wohnung. Sie war für uns ein Domizil, für wenn auch nur 5 Jahre, die wir mit Freunden, Familie und auch Kollegen oft bis zum Anschlag gerockt haben. Gesungen, getrunken und gelacht. Sirtaki getanzt, auch zu Weihnachten Zudem eine Oase und Ort des Rückzuges im altehrwürdigen Haus von 1652. Normalerweise muss es sehr schwerfallen, diese Umgebung direkt am Rhein aufzugeben, aber manchmal wird man zu seinem Glück regelrecht gezwungen, und eine Baumaßnahme, der wir als Mieter zum Opfer gefallen sind, beflügelte Entschlüsse auf der anderen Seite.
Unser Schiff Nam Kok bietet ausreichend Platz und es sollte nur für einen Winter bis zur Abreise sein. Unser großartiger Heimatsegelverein bot hierzu den Liegeplatz für diese Zeit und auch den Rahmen dazu. Aus der Not entstand eine Tugend und es bleibt kein Geheimnis, dass diese Maßnahme ein paar Euros auf unser Konto spülte, die wir für einen solchen Trip brauchen. Klar, mussten unsere Kollegen wir ein wenig an der Nase herumgeführt werden, warum wir denn auf einem Schiff wohnten und uns „erst mal“ keine Wohnung suchen.
Der Entschluss reifte und stand fest, so weit, dass ich mich dann zur Vorweihnachtszeit ins Chefbüro hineinwagte und unser Anliegen vortrug: „Chef, ich möchte segeln und ein Jahr Auszeit beantragen.“ MeineAnfrage stieß auf sehr wohlwollendes Verständnis, wenn auch ohne Vereinbarung zum Wiedereinstieg.
Somit lief alles mehr oder weniger im Plan, bis meine Frau Corinna eines Wintertages bleich wie Kalk vom Hautarzt zurückkehrte. Verdacht auf weißen Hautkrebs. Es sei jedoch alles beherrschbar und nicht lebensbedrohlich, es bedürfe nur der Zeit und Ruhe. Für unser Unternehmen, den Atlantik zu segeln, blieb jedoch weder Zeit noch Ruhe, sondern nur die Notbremse, die wir noch rechtzeitig kurz vor der Kündigung ziehen konnten.
Glücklicherweise erwies sich der Verdacht nur als Verdacht und die ersten zarten Sonnenstrahlen vor Anker in der Stratumer Schweinebucht brachten wieder Vertrauen in Corinna’s Gesundheit zurück.
Mit dieser gewonnenen Zeit hatte auch ich nun die Möglichkeit, einen Gang zurückzuschalten und noch notwendige Reparaturen langsamer anzugehen.
Im Sommer 2016 wären wir soweit gewesen. Das Schiff im Wasser auf neuem Kiel, im neuen Glanze. Der Mast stand und mit neuer Genua zogen wir mit schon fast 6 Knoten durchs Hafenbecken. Mit dem von De Jong Sails gesponserten Gennacker der pure, aber schöne Stress. Kaum war der Lappen oben, musste er wieder runter, so schnell schossen wir durch die Schweinebucht. Beindruckend. Respekteinflößend, wenn ich mir überlege, dieses 90 Quadratmeter-Tuch bei mehr Wind auf dem Ozean zu bergen. Mit dem Entschluss, später zu starten, verschoben sich auch andere Dinge, wie Solartechnik und Windenergie, die jedoch jetzt nicht mehr eilig waren.
Nur eines wollte ich jetzt noch wissen. Wie ist es um die Stabilität des Schiffes wirklich bestellt? Selbstverständlich war vom Schiffsarchitekten alles berechnet und technisch entsprechend in die Tat umgesetzt. Wahrscheinlich hat meine Pedanterie dann den Ausschlag gegeben, den Architekten erneut einzuladen, um den Beweis der Seetüchtigkeit zu erbringen. Das Ergebnis fiel für alle Beteiligten ernüchternd, gar schockierend aus. Alle Versuche, das Ergebnis schön zu reden, konnten uns nicht versöhnen und auch nicht davon abhalten, locker zu lassen. Es lag uns fern nach Schuldigen zu suchen und wollten die verstehen, warum Rechnung und Ergebnis nicht übereinstimmten. Rückblickend flammten an dieser Stelle seinerzeitige Zweifel wieder auf, bei denen uns der Architekt einen Entwurf ohne Zusatzbalast im Kiel vorlegte, den wir selbst überstimmen mussten, um somit mit zumindest gleichem Ballastanteil unterwegs zu sein, wie zuvor.
Aus dem zeitlichen Polster entstand wieder ein immenser Druck. Es war klar, dass wir mit einem nicht sicheren Schiff nicht segeln werden. Aber wo wollte man ansetzen und irgendetwas berechnen, wenn man die Ursache nicht kennt?
Es wurde November und aus unserem Urlaub in Las Palmas, schalteten wir einen weiteren Architekten zur Beratung ein. Seine erste überschlägige Kalkulation deckte sich mit der nun vorliegenden Rechnung. Die einzige Lösung, die blieb, war den Ballast sowohl zu erhöhen, als auch diesen an die äußerst tiefste und somit wirksamste Stelle nach ganz unten zu bringen. Fortan bestand unsere Zeit auf Gran Canaria damit, sich nicht um den Start der ARC zu kümmern, bei der wir gerne einmal teilnehmen möchten, sondern aus internen Diskussionen, wie wir einen weiteren Kielumbau zeitlich und finanziell stemmen können. Über die die Entscheidung, dass etwas Gravierendes passieren müsse, waren wir längst hinweg und über unsere steuerlichen Sorgen und fast schon Panik, illegal auf einem Boot zu leben möchten wir gar nicht reden, spuckten aber zusätzlich reichlich in unsere Suppe. Behördenarbeit und Brandbekämpfung im Urlaub auf den Kanaren…
Der nächste Abreisetermin im Mai 2017 rückte immer näher; eine Lösung zu unserem Kielproblem nicht in Sicht. Dafür Kommentare im Segelverein zu Hauf und schlaue Ratschläge. Einfach eine Eisenbahnschiene drunter braten war nur eine davon.
Es muss ein verschlafener Wintertag gewesen sein, an dem ich jedes Detail der Rechnung studierte, um zu verstehen, was ich zu verstehen vermochte. Und da war dieses Detail des berechneten Gewichtes, über das ich stolperte. Niemals, so behauptete ich, wogen wir über 16 Tonnen und drängte auf den praktischen Nachweis, dies zu beweisen oder zu widerlegen. Mit einer digitalen Waage zwischen dem gegenüber im Hafenbecken stehenden 200-Tonnen-Kran und der Nam Kok ließen wir uns einmal kurz aus dem Wasser heben. Mit auf die digitale Anzeige gerichteten Teleobjektiven konnten wir einfangen und belegen, einen ersten Fehler der Berechnung ausmachen. Jörgen der Architekt konnte sich diesen nur mit einem Fehler in der Zeichnung erklären und fing bei dem simpelsten an, der Höhe von Deck zum Wasser. Jetzt an dieser Stelle sollte Jörgen Recht behalten. Die Nachrechnung mit den wahren Zentimetern der Deckshöhe brachte eine Übereinstimmung der Verdrängung seiner Berechnung mit der tatsächlichen Wiegung. Somit konnten alle vorherigen Rechnungen als fehlerhaft angesehen werden und die Basis zu einer vertrauenswürdigen Arbeit war nun geschaffen. Wir waren wieder ein Team und uns einig, dass nur ein sogenannter T-Kiel (schmale Kielfinne mit unten sitzender Bleibombe) in Frage kommt. Den Weg wollten wir jedoch rückwärtsgehen und eine Bleibombe von der Stange kaufen, und nicht einen maßgeschneiderten Ballast erst als Modell bauen, dann gießen zu lassen. Zeit-und Geldrahmen wären gesprengt.
Glücklicherweise sitzt in unserer Gegend eine spezialisierte Firma, die aus einer Bleigießerei entstanden ist und heute ausschließlich Kiele fertigt. Kiele für Bavaria, Beneteau und alles was Rang und Namen hat. Hier waren wir richtig. Die Besichtigung der alten verstaubten Katakomben versetzte uns in die Nachkriegszeit. Es roch nach harter Maloche im schummrigen Licht, die jedoch High-Tech stromlinienförmige und polierte Ergebnisse hervorbrachte. Und ganz unscheinbar in der fast hintersten Decke lag der Rohling einer fertig gegossenen Kielbombe. Eine elegante Form auf einer Palette. Verstaubt und mit Spinnenweben überzogen. Einsam und verlassen. Corinna war sofort dabei, als wenn man einen Findelhund aufnehmen wolle. Aber ihr weiblicher Instinkt zog alle Blicke und Überlegungen auf dieses Torpedo und auch aus einigen Metern Distanz betrachtet sah es so aus, als würde es tatsächlich gut zu Nam Kok passen.
Sofort fütterten wir unseren Architekten Jörgen mit Gewichten, Fotos, Schwerpunkten und Skizzen, um eine Machbarkeit zu prüfen. Er ließ nicht auf sich warten und präsentierte einen Entwurf für eine Kielfinne und auch noch Zusatzballast, sehr ähnlich wie unser Beraterarchitekt überschlagen hatte.
Die nächsten Schritte waren klar und der zeitliche Druck stieg erneut uferlos an. Schweren Herzens entschlossen wir uns einen zweiten Rückzieher zum Start in 2017. Für entsprechenden Spott brauchten wir nicht zu sorgen und auch nicht für Verständnislosigkeit einiger, schließlich bräuchten wir einfach nur weniger Party zu machen um endlich mal fertig zu werden (O-Ton). Unsere Niedergeschlagenheit hielt sich in Grenzen, schließlich hatten wir jetzt einen Plan, den wir in Zusammenarbeit mit befreundeten Fachleuten umsetzen wollten. Allen, die uns hierbei unter die Arme gegriffen haben, sind wir bis heute zutiefst dankbar.
Schnell ist der Rest erzählt: Schiff auskranen, aufbocken und Kiel absägen. Anschließend über viele Samstage die Anpassung der Kielbombe an die Basisplatte der Kielfinne und das kurioserweise an den heiligen Hallen und Werkbank der Firma PLAMA, in denen Reiner, ich und genauso unser ehemaliger Kollege Jörg viele Jahre unseres gemeinsamen Weges verbracht hatten. Mehr als 10 Jahre später entstand genau hier in guter Facharbeit auf Willi’s ehrwürdigem Bohrwerk der neue Kiel, der finale Schritt für seine Nam Kok. Ein Zufall?
Die gebohrte Grundplatte wurde zügig bei MENSLER in Solingen zur Kielfinne weiterverarbeitet, die dann wieder bei dem Bleigießer mit berechnetem Bleiballast ergänzt wurde. Bei Karl erhielt das Paket seinen Lack, nachdem er sich zuvor sandstrahlend, in seinem Element austoben konnte. Alles nahm Formen an- jetzt war Präzision gefragt. Mit dem Gabelstapler verheiratete unser Hafenmeister Erhard die beiden schweren Teile und setzte die Kielbombe exakt auf die zehntelmilimetergenaue Passung der Kielfinne auf. Verschraubung am erlaubten Lastenlimit und vergießen der Muttern sollen am besten für die Ewigkeit sein.
2 Monate gingen für diese Arbeiten ins Land, bis Nam Kok wieder in die Halle durfte und ebenso präzise aufgebockt wurde. Nun kam Granini, mein uralter Schulfreund und Landvermesser ins Spiel. Mit Lot und Laser vereinten wir Kiel und Boot, wie man es präziser einfach nicht hinbekommen kann. Eine Kleinigkeit dann für unseren Profischweißer Marcel, die Nähte zu ziehen.
So wurde es Ende Juli, bis wir Fertigstellung meldeten, wobei unsere Partyanflüge immer noch im äußersten Hintergrund standen. 4 Monate Leben auf einem Schiff gingen zu Ende. 4 Monate Treppe rauf und runter. Kein Kühlschrank. Kein Klo. Alles im Klubhaus. Unfassbar, wie meine Frau das durchgestanden hat.
Der letzte Schritt wäre ein leichtes gewesen, wenn die Slipanlage unseres Seglervereines nicht abgerauscht wäre. Wahrscheinlich waren wir einer der letzten die ausgekrant wurden. Wenn nicht sogar die letzten. Leicht vorzustellen, wie wir ausgesehen hätten, wenn wir abgeschmiert wären, als das Seil riss.
Aber jedes Hindernis bietet irgendwo eine Lösung. Es galt nur eine Brücke zu schlagen zwischen unserem Vereinsgelände und dem 200-Tonnen-Kran bei Felbermayr gegenüber vom Hafenbecken. Es bedurfte ein wenig Überzeugungsarbeit bis wir die KSV-Maschinerie bewegen konnten und sich Erhard als Fitzcaraldo von Stratum in die Geschichtsbücher eintrug. Mit Sondergenehmigung für Schwertransporte trat die Nam Kok die letzten Meter auf Nachtfahrt zum Kran an, bis sie in Hergottfrühe wieder den Fluten übergeben wurde und der zweite neue und jetzt elegante Kiel in 1 Meter 85 in der Tiefe der grauen Schweinebucht verschwand. Das Projekt war nun abgeschlossen.
Mittlerweile sind auch die Solarpanels und der Windgenerator montiert, unsere Arbeitsverträge gekündigt. Dem neuen Zeitplan hinken wir wieder leicht hinterher, wobei sich kaum jeder vorstellen möchte, welche Liste wir in den letzten 9 Monaten abgearbeitet haben, um die Versorgung für uns alle aufrecht zu erhalten. Das eigene Fieber kommt etwas zu kurz, dabei werden wir gerade getragen von Freunden und auch Kollegen, die uns großartige und unschätzbare Abschiedsfeiern bereiten.
Jetzt, 2 Wochen vor dem neuen Starttermin fangen wir erstmals an, eine Seekarte zu studieren. Die Tage sind gezählt. Wir rollen zum Start.
Havanna, bald werden wir kommen.
Paris, 04. Juni 2018
Frank Steinbrecher